Wunschtraum: einen Tag der Deutschen Reinheit. Wie in den 50ern: Samstag ist Badetag.

Ich wünschte, es gäbe auch (mindestens) einen Tag der Deutschen Reinheit.
In den 50er Jahren, der Zeit meiner Ruhrgebiets-Kindheit gab es ihn tatsächlich, die Älteren werden sich erinnern, sogar wöchentlich: denn Samstags war Badetag!
Da wurde die Zinkwanne in der Wohnküche aufgestellt, Badewasser auf dem Kohleofen erhitzt, und in die Wanne geschüttet.
Der besondere Luxus war das Hinzugeben einer orangefarbenen, etwa handtellergroßen Sprudeltablette namens „Fichtennadel-Tannenbad“, die sich im Wasser sprudelnd auflöste, und das Wasser sofort leuchtend grün werden ließ. Und es duftete nach Wald, oder nach dem, was wir Kohlenpottkinder für Waldgeruch hielten. Je nach Anzahl der Personen, die dieses Badewasser nacheinander nutzen durften, bildete sich am Wannenrand eine Art gräuliche Schmand-Schicht. Der Letzte hatte eben Pech: das Wasser war nicht mehr ganz so warm, und der Schmand-Rand war erheblich dicker. Meist gab es nach dem Bad dann auch ´ne frische Unterbuxe für die Woche.
So war es wirklich.

Und heute? Heute kostet Seife so gut wie nix.
Und trotzem passiert es wieder: es ist noch Vormittag. Ich lege an der ALDI-Kasse meinen Einkauf aufs Band – und bemerke: hier müffelt es! Nein, es müffelt nicht nur: es stinkt! Und es ist kein „Es“, was da so furchtbar stinkt, sondern es ist ein Mensch, vor mir oder hinter mir. Eine brutale Mischung aus Schweiß, Zigarettenrauch, Küche, ranzigem Haartalg, nassem Hund und manchmal auch – sorry – Urin, um das Wort Pisse nicht zu bemühen.

Der Stinker oder die Stinkerin ist schnell ausgemacht: erkennbar an dem talgig glänzenden Haar, dessen Fettgehalt durchaus eine schöne dicke Bouillon hergeben könnte, weil es schon lange nicht mehr gewaschen sein dürfte – an den grauweißen Schuppen auf den Schultern, die an leichten Schneefall erinnern, den tabakgelben Fingern, dem speckigen Hemdkragen – obwohl: nicht unbedingt immer an der Kleidung, denn auch ordentlich gekleidete Menschen mit Scheu vor Wasser und Seife spendieren gern und großzügig Riechproben ihres Duftdrüsen-Odeurs oder ihres Stallgeruchs an die hilflose Menschheit. Am liebsten dort, wo der oder die Beschenkte sich gegen die guten Gaben nicht wehren kann: bei Aldi vor der Kasse, im Büro, in Bahn, Bus, Zug, im Aufzug, wobei Letzteres den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung erfüllen dürfte.

Verdelli – wie ist es nur möglich, dass Menschen in unserem Wohlstandsland, in dem Seife wirklich nicht viel kostet, schon am frühen Morgen schon so stinken können? Vermutlich stinken sie nicht schon am frühen Morgen, sondern noch von gestern oder gar von irgendwann einmal.

Vor einiger Zeit las ich, dass strenger Körpergeruch in Japan als eine der häufigsten Belästigung gilt – gleich nach Macht-Ausnutzung, sexueller Belästigung, der Diskriminierung von Müttern am Arbeitsplatz sowie Mobbing. Und dass „Müffeln“ dort geächtet ist, und japanische Unternehmen sogar andere, auf Körperpflege spezialisierte Firmen damit beauftragen, sich mit der Reinlichkeit ihrer Mitarbeiter/innen zu beschäftigen.

Ja, diese Erlebnisse an der Aldi-Kasse empfinde ich als Belästigung. Manchmal habe ich den Geruch noch beim Wegfahren vom Parkplatz in der Nase und wünsche mir, Körperpflege müsste zur Bürgerpflicht werden, deren Nichtbeachtung eine kostenpflichtige Zwangswäsche in aller Öffentlichkeit mit eiskaltem Wasser zur Folge hätte.

O.K. ist nur so dahingesponnen.
Zumindest wünsche ich mir: Seife für alle!
Und einen wöchentlichen „TAG DER DEUTSCHEN REINHEIT“
Gerne den Samstag, so wie einst in den 50ern.



Bis die Tage! Und bleibt frisch!
🤭

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8 Antworten zu Wunschtraum: einen Tag der Deutschen Reinheit. Wie in den 50ern: Samstag ist Badetag.

  1. Machse AldiOnline, is abba nich dat beste vonne Lieferbuden. Lehrlinge, echt ey.

  2. Wenn du diesen, leider sehr oft wohnungslosen Menschen, dann auch noch die Möglichkeit gibst, dass sie ein eigenes Zuhause mit Dusche haben, wäre das Problem gelöst. – Wer von uns würde so einen Menschen mit nach Hause nehmen und ihm die Möglichkeit einer Körperreinigung anbieten oder schenken? – Wahrscheinlich kaum eine oder einer. – Ich denke immer, die stinken nicht aus Absicht, sondern aus Armut.

  3. LP sagt:

    Boaah.. Kopf-/Nasenkino. Und ich finde es schwer zu ertragen.
    Wie auch solche Menschen in meiner Riechnähe.

  4. Die gräuliche ( und greuliche) Schmandschicht in der Badewanne kenne ich auch noch aus meiner Kindheit. Uaah.

  5. Grinsekatz sagt:

    Und mit dem Rest vonne Lorke wurde noch die Treppe geputzt 😉

    Ja, die Gerüche. Gleich hinter dem alten Schweiß kommt die Überparfümierung. Während Erstes noch mit psychischen Erkrankungen, Sucht, Mangel an Gelegenheit oder dergleichen zu erklären ist, gleicht Letztes mutwilliger Körperverletzung.

  6. eimaeckel sagt:

    Gute Idee! Am Tag der Einheit vergessen wir ja auch, dass wir uns gegenseitig nicht riechen können.

  7. Zinkbadewanne, ja, nicht bei uns zu Hause, aber bei der Oma. Ich erinnere mich besser daran als es mir lieb ist. Und dann das kalte harte Handtuch, nee, vorher noch Haare waschen mit irgendeinem Shampoo, das einem die Augenwimpern wegäzte. Aber wir dufteten, wenn auch nicht lange. – Was mir stinkt – und ich habe selbst lange geraucht – ist der kalte Rauch in den Klamotten. Auch dagegen soll waschen helfen.

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