Kumma!! Kirmes im Pott!!!

Kirmes!!!
„Ey! Hasse schon gehört? Auffem Wildenbruchplatz sind se am Kirmes aufbauen!“ 
Da gab et kein Halten mehr: da mussten wir hin!
Was den Zauber und die Anziehungskraft einer Kirmes auf uns Kohlenpott-Knirpse ausmachte, ist schwer zu beschreiben.
Kirmes, dat bedeutete: erst einmal gucken, „wat da aufgebaut wird, wat da hinkommt.“ Danach die Überlegung: „Wie kommsse gezz an Geld für die Kirmes?“
So dicke hatte et keiner von zu Hause aus. Man lebte entweder „vonne Zeche Graf Bismarck“ oder, so wie meine Mutter und ich, „vonne Fürsorge“.
Zu Hause Geld für die Kirmes zu erbetteln, hatte selten Aussicht auf Erfolg. Et war schlicht nicht genug da, ummet für so ein kurzet Kirmesvergnügen auszugeben. Vielleicht mal ´ne Mark.
Höchstens.
Leere Bierflaschen suchen, um sie gegen Bares umzutauschen, war eine der Möglichkeit der Geldbeschaffung. Für  eine leere „Pulle“ gab et immerhin 20 Pfennige Flaschenpfand.
Fünf Pullen also eine Mark – dafür konnte man dann schon drei Mal mit Biermanns „Selbstfahrer“ (AutoScooter) fahren.
Oder mit der rasanten Fellerhoff-Raupe, die aber „mehr wat für die Großen“ war, die mit ihren „Schicksen“ nur darauf warteten, datt sich zum Ende der Fahrt dat Verdeck schloss,- damit se im Dunklen schön knutschen konnten…
 

Kirmes in den 50er Jahren
aus der Sicht eines Knirpses aus dem Pott:

Kumma! Kirmes!!!

Kumma!
Auf´m Wildenbrucplatz is Kirmes.
Hamse bis gestern aufgebaut.
Mit Selbstfahrer-Autos. Die kannze selber lenken.
Weisse watt?
Ich tausch Bierpullen um,
dann kann ich n´ paarmal damit fahrn.

Kumma!
Dat Schild da:
„Junger Mann zum Mitreisen gesucht.“
Boah, überleech ma:
da kannze jeden Tach umsonz fahren.
Weisse watt?
Die Großen ham´et gut.

Kumma!
Dat Pony-Karussell.
Stinkt nach Sägemehl und Pferdekacke.
Immer inne Runde bei dem lauten Kirmesgedöns.
Weisse watt?
Die Klepper werden doch rammdösig.
Is auch mehr watt für kleine Blagen.

Kumma!
Der Besoffene da:
der schmeißt´n Tacken innen Boxautomat.
Gezz kloppter auf dat Leder.
Wat sacht der Zeiger? FLIEGENGEWICHT.
Weisse watt?
Der Kerl hat donnix inne Mauken!

Kumma!
Die Fellerhoff-Raupe!
Boah, hat die ´n Zacken drauf.
Hömma: dat is Rock´n Roll.
Weisse watt?
Wenn dat Verdeck zugeht,
knutschen die Großen immer mit ihre Weiber.

Kumma!
Ich schleich gezz mal unter die Raupe.
Vielleicht hat einer watt Geld verlorn
von oben durche Holz-Ritze.
Weisse watt?
Wenne auch nix findes, egal,
dafür kannze die Schicksen untern Rock gucken.

Kumma!
Meine große Schwester!
Mitten Lebkuchenherz.
„Für immer Dein“
Weisse watt?
Dat hat die vonnem Itacker.
Den kennt´se vonne Eisdiele.

Kumma!
Die Schießbude.
Dat soll ja Beschiss sein.
Die haben die Knarren extra krumm gemacht,
datte nich triffs.
Weisse watt?
Probiern würd ich dat ja mal.

Kumma!
Die Selbstfahrerautos von Biermann.
„Einsteigen und Platz nehmen
zu einer neuen lustigen Autofahrt“
Weisse watt?
Datt könnt ich den ganzen Tach.

Boah, wenn ich gezz ne Mark hätte…

Lothar Lange

 


Die „Fellerhoff-Raupe“, die „Selbstfahrerautos“ von Biermann, und das leckerste Kirmes-Eis der Welt von „Schmalhaus“ sind seit vielen Jahrzehnten traditionell auf den Rummelplätzen des Ruhrgebietes vertreten.  Ein „Tacken“ war im Ruhrgebiet die Bezeichnung für einen Groschen, 10 Pfennige. Als eine „Schickse“ wurde etwas abfällig die augenblickliche Freundin, auch „Perle“ benannt. Der „Itacker“ war ein italienischer „Gastarbeiter“.

*Wildenbruchplatz, ein Straße in Gelsenkirchen mit ehemals großem Platz gegenüber der ebenfalls nicht mehr bestehenden Gelsenkirchener Eisenwerke, gern für Zirkus und Kirmes genutzt. Heute mit einem Polizeigebäude bebaut.

Fotos/Collage: Lothar Lange

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Eine Antwort zu Kumma!! Kirmes im Pott!!!

  1. Weil ich das alles offenbar in meiner Kindheit nicht ausleben konnte, habe ich das ein wenig als Erwachsene nachgeholt. Bei einem meiner Besuche im Westen (vor 89) bin ich einen ganzen Tag zu so einem Riesenvergnügungspark gefahren und habe alles nach Herzen ausprobieren können, denn ich hatte viele Stunden Zeit. Den Eintritt hat mir meine Verwandtschaft geschenkt und alle Fahrten waren dann umsonst.
    Am Abend hatte ich dann hoffentlich genug.

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