Zuvielgesellschaft. Von platzenden Hosen und Frieden

Vor wenigen Tagen wurde ich in einem Podcastgespräch vom Moderator gefragt, wie ich denn wohl auf die Ideen meiner Kohlenspott-Beiträge komme. Ich konnte sinngemäß nur antworten, dass ich schon immer einen gewissen Wortwitz sehr mochte und manche Alltagssituation in mir spontan die Lust auslöst, etwas – meist Vergnügliches – dazu zu schreiben.

Oder es ist so wie heute: der Kommentar meiner geschätzten Bloggerfreundin Clara Himmelhoch auf meinen vorherigen Beitrag über den Gelsenkirchener Stadtwerbefilm von 1960, in dem u.a. auch Freibadszenen von vor 62 Jahren zu sehen sind:

Clara schreibt: „Die Szenen im Schwimmbad haben mir am besten gefallen. – Damals ging es den Leuten noch nicht so gut wie heute, deswegen waren sie viel schlanker als heute der Durchschnitt.“

Der Zufall wollte es wohl so, dass ich heute beim Lesen eines Artikels zum Thema Wohlstand an dem Wort „Zuvielgesellschaft“ hängen blieb. So ein pfiffiges Wortspiel!
Herrlich! Dat passt ja, wie dat Gesäß auf die Keramik!

Clara hat so recht: den Leuten ging es damals nicht so gut wie heute. Und das war ihnen auch anzusehen. Und während ich hier schreibe, erinnere ich mich daran, dass es in meiner Schulfibel die Geschichte vom Schlaraffenland gab, in dem die Häuser mit Pfannkuchen gedeckt waren und die Wände aus Kuchen und die Zäune aus Wurst  bestanden, gebratene Hähnchen durch die Luft direkt in den Mund flogen, die Berge aus Pudding bestanden und wo aus den Bächen Milch, Honig und Saft floss, oder so ähnlich.

Als Kinder hatten wir alle wohl einmal vom Schlaraffenland geträumt, mit eben solchen wunderbaren Bildern davon, wie es Zucker statt Schnee schneite…

Hätte uns damals jemand prophezeit, dass wir viel später einmal tatsächlich in einem so tollen Schlaraffenland leben würden, in dem es so Vieles und Schönes im Überfluss zu essen gibt, dass  man es gar nicht schafft, alles aufzufuttern, sondern es zum großen Teil sogar wegwirft, und dass die Menschen hierzulande einmal so wohlgenährt sein werden, dass ihnen die Hosen platzen – wir hätten ihn wohl für verrückt erklärt.

Claras Kommentar und das passend dazu entdeckte Wortspiel „Zuvielgesellschaft“ sind die Auslöser einer Gedankenkette darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit wir dieses Zuviel an allem doch als etwas völlig Normales wahrnehmen.

Und nur ein paar hundert Kilometer östlich von uns freuen verängstigte Menschen sich über Kleidung, Decken, Lebensmittel und ein Unterkommen dort, wo es warm, trocken, und vor allem sicher ist, denn von einem kann es niemals ein Zuviel geben: vom Frieden.

Lo


Fotos: Lothar Lange
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9 Antworten zu Zuvielgesellschaft. Von platzenden Hosen und Frieden

  1. Gestern suchte ich in einem 1-Euro-Laden nach einer Blumenspritze. Da fiel mir ein, was Sokrates gesagt haben soll, als er über den Athener Markt ging: „Wie zahlreich sind doch die Dinge, die ich nicht brauche.“

    • Lo sagt:

      Ja, wenn man einmal nur darüber nachdenkt, dass es „Lebenshilfe“-Bücher und Kurse gibt, in denen erklärt wird, wie man sich von Überflüssigem schmerzfrei trennt…..

  2. Hallo Lo, da du mich ja in einer Mail „vorgewarnt“ hast, dass ich heute bei dir „Hauptdarstellerin“ bin, ging ich spornstreichs zu deinem Blog und sah den Header. Es hat nicht mal eine Zehntel Sekunde gedauert, bis ich vermutete, dass ich die Frau in dem gestreiften Badeanzug sein soll. – Für den Header hättest du noch Absolution bekommen, aber beim Gesamtfoto hätte ich deine Adresse recherchiert und dir die Ohren so lang gezogen, dass du an ihnen nuckeln könntest:-) 😉
    Oder: Du hättest den kleinen Dicken gemimt und dich neben mich gestellt *haha*
    Das Wort „Zuvielgesellschaft“ gefällt mir mindestens so sehr wie dir.
    Über ein Ereignis, das zu deinem letzten Absatz passt, schreibe ich bald einen Artikel.
    „Herrlich! Dat passt ja, wie dat Gesäß auf die Keramik!“ das ist die lustigste Passage in deinem Artikel.
    Wo hast du denn diese beiden „lÜberall-Zuviel-Figuren“ aufgetrieben.
    Immer noch frohe Grüße, dass ich nicht die im Badeanzug bin – NOCH NICHT!!!!

    • Lo sagt:

      „Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt…“, liebe Clara.
      Die zwei schmächtigen Wonneproppen zieren aktuell das Schaufenster eines Oberhausener Optikerladens. Die musste ich einfach adiposita…, äh… adoptieren. Liebe Grüße nach Börlinn!

  3. Eimaeckel sagt:

    Dicke Leute gab es in den 60ern zuhauf. Die erste Fresswelle war ja in vollem Gang. Aber die gingen nicht ins Schwimmbad.😉

    • nömix sagt:

      Da hab’ ich aber eine andere Wahrnehmung: zu meiner Schulzeit in den 60/70ern gab es in jeder Schulklasse einen Dicken, maximal zwei, und die wurden im Turnunterricht gemobbt. Heute ist jedes dritte Schulkind übergewichtig, jedes zehnte fettleibig.

  4. Wir sind eine satte und bequeme Gesellschaft, die kaum etwas mehr fürchtet, als den Verlust der Fleischtöpfe.

  5. Mitzi Irsaj sagt:

    Zuvielgesellschaft. Eine gute Beschreibung, einer Gesellschaft, die oft gar nicht mehr weiß, was sie eigentlich braucht. Liebe Grüße

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