Vor wenigen Tagen sprach ich mit einem Freund über „früher“.
Bei diesem Thema muss man achtgeben, dass man beim Schwärmen über alte Zeiten nicht in die Falle namens: „Früher war alles besser“ tappt, denn die Erinnerung malt bekanntlich mit goldenem Pinsel.
Dass ich Jahrzehnte lang Schiss vor dem Zahnarztbesuch hatte, liegt daran, dass es in den 50ern in Gelsenkirchen-Buer-Erle einen Zahnarzt gab, der Karl Welk hieß, und dessen Bohrer mit einem Riemengetriebe angetrieben wurde. Da wurde die Knabberleiste beim Bohren mangels Wasserkühlung richtig heiß, so stank es auch – und es tat höllisch weh. Dieses furchtbare Kindheitserlebnis zeigte bei mir bis ins hohe Erwachsenenalter seine Wirkung: Bammel vor dem Zahnarzt.
Und das Klo auf halber Treppe, das man sich mit anderen Nachbarn teilen musste? Zugeschnittenes Zeitungspapier statt vierlagiges von Hakle. Warmes Wasser war Luxus und musste erst auf dem Kohlenofen erhitzt werden und eine Zinkwanne ersetzte das nicht vorhandene Badezimmer. Wäsche musste im Kessel gekocht und von Hand gewaschen und ausgewrungen werden. Bügeleisen hatten ordentliches Gewicht. Die latenten Ängste der Älteren, dass vielleicht „der Russe kommt“, haben auch wir als Kinder mitbekommen. Lehrern war es früher auch nicht verboten, sich mit einem Rohrstock Respekt zu verschaffen.
Und das Geld war immer knapp, doch weil es allen anderen um uns herum ähnlich erging, spürten wir unser Armsein nicht so doll.
Auswärts essen zu gehen, das war schon aus reinem Geldmangel den meisten Familien meiner Freunde nicht möglich.
Diese alte Speisekarte aus den 50ern entdeckte ich vor wenigen Tagen im alteingesessenen „Gasthaus Luft“ im Oberhausener Norden.
Und mit freundlicher Erlaubnis durfte ich auch ein Foto davon machen:
Zumindest die Preise waren „früher“ besser, oder?
Huch! Vorsicht, schon wieder diese Falle! 😉
Bis die Tage!
Lieber Lo, an ALLES kann ich mich erinnern, denn mir hat ja „der liebe Gott“ noch ein paar Jahre vor dir geschenkt.
Nur bei einem hatte ich Glück – wir haben im einzigen Haus auf unserer Straße gewohnt, wo es BÄDER – nicht nur Toiletten – in der Wohnung gab, und dazu einen Gasdurchlauferhitzer. Gut, ab und an gab es gerade mal kein Gas – da konnte ich eben nicht baden – das wurde sowieso nicht so exzessiv wie heute betrieben.
Und Geld im Überfluss und für solchen Luxus wie Urlaub oder Essen gehen gab es bei uns auch nicht.
Es war tatsächlich nicht alles besser – aber irgendwie ruhiger, weniger aufgeregt als heute – zumindest in unserer Politik damals.
Schläge in der Schule kenne ich nicht – und der Russe war eh schon da!
Die Waschtage im Waschhaus mit großem Kessel kenne ich auch noch – aber irgendwann hat meine Mutter eine der ersten Waschmaschinen gekauft, denn sie war ja als Lehrerin voll berufstätig, da der Mann/Vater 46 verunglückt.
Lieben Gruß zu dir
Ja, manchmal hatten die Menschen es auch in der „Ostzone“ ein wenig besser als bei wir im Kohlenpott. Wenn ich meinen Bruder „drüben“ in Lauta/Lausitz besuchte, genoss ich dessen Badewanne.😉 Liebe Grüße und Dankeschön für Deine Erinnerungen, liebe Clara.
Das Klo eine halbe Etage tiefer hatte ich noch in den späten 70ern. Badewanne in der Zweizimmerwohnung? Nix, nur ein Waschbecken. Kohleofen war normal. Durchgebrannte Leitungen auch normal, wenn man einen Toaster anwarf in all seiner Elektrizität. Aber billig war die Bude schon …
Lieben Gruß an dich!
Genau so war es, liebe Iggy!
Auch Dir ein lieber Gruß!
Hach ja. Und das Klo auf halber Treppe hat nicht mal gestört, bei Oma im Mietshaus. Denn man kannte es ja nicht anders – dort. Das hatte so was historisches! Wie überhaupt Oma und Opa so schön von früher erzählen konnten. Von der „alten Heimat“ die futsch war. Ein Legendenland. Damals in den frühen 70ern. Da war das vorintflutliche Klo irgendwie mit drin. Genau wie das alte Holzkastenradio mit sovielen Sendern auf der Skale, die es nicht mehr gab: Breslau, Königsberg.
Man brauchte auch nicht ziehen, weil es nur so eine breite Plumpskloröhre war. Ne Strippe wäre sowieso nicht vorhanden gewesen. Nur ab und an streute Oma so ein weißes Pulver in das Rohr und dann brannten 2 Tage die Augen wenn man kacken ging.
Zeitenwechsel:
2002 herum machte Harald Schmidt Witze über Berlin, dort „wo der Kaffee 5 Euro kostet“.
2022 Dezember; Raststädte Marché an der A9: Pott Kaffee Creme 4,90 Euro.
Da merkste, dass de jetz‘ das Alter von Oma und Opa damals hast:
Als ich so alt war wie du, da kriegteste den Pott Kaffe noch für 2,50 D-Mark. Das war, als wir grade Westen wurden. Aber paar Jahre später begann dann schon der Verfall.
Bei meinen ersten Besuchen beim Stomatologen (!) gab es auch noch keinen Bohrer mit Wasserkühlung. Das war so im Kindergartenalter und ich sah intuitiv nur eine Möglichkeit der Folterung zu entkommen und biss zu. Meine Mutter musste dann einen anderen Zahnarzt für mich suchen …
Unbedingt besser war es dann später auch nicht, wenn noch recht unsensibel mit dem riesigen Absaugschlauch hantiert wurde. Eine Betäubung war bei Standardbehandlungen jenseits des Vorstellbaren. Aber ich gewöhnte mich dann doch so weit daran, dass ich auch weit später nach der Wende im Westen Zahnärzte ins Staunen versetzte, wenn ich eine Behandlung ohne Betäubung vorzog. („Sie sagen Stopp, wenn ich doch betäuben soll.” „Hm.” Pause. „Soll ich nicht doch lieber …?”)
Dank Plattenbau gab es eine Zentralheizung sowie ein richtiges Bad mit WC samt Badewanne und Warmwasser so viel man wollte. Aber ich kenne auch die Verhältnisse in Altbauten mit WC auf halber Treppe und keinem Bad. Also so ein Raum war nicht einmal vorhanden. Ein damaliger Freund von mir hatte da eine sehr pfiffige Lösung. In der Küche, wo Warmwasser vorhanden war, hatte er im Küchenblock eine Badewanne quasi in einer großen Schublade zum Herausziehen eingebaut.
Eine Waschmaschine gab es schon in frühster Kindheit bei mir. Aber die wusch nur die Wäsche und sie musste in einer extra Schleuder geschleudert werden. Die musste man dann festhalten, damit sie nicht durch die Gegend hüpft. Also persönlicher Schleudergang inklusive.
Ein elektrisches Bügeleisen war hingegen normal und in der DDR ohne weiteres zu erhältlich und das zu erschwinglichen Preisen*. Im Nachbarstaat Polken sah das anders aus. Bei einer Rückfahrt während eines Urlaubs aus der nächstgelegenen Stadt in ländlichere Gegenden hatten fast alle einen kleinen Karton bei sich. Es war ja normal, dass vieles nur in rudimentären Verpackungen ohne Bedruckung verkauft wurde. Als dann endlich jemand seine Beute auspackte war meine Verwunderung groß: es waren Bügeleisen! Offenbar ein Mangelprodukt in Polen damals.
*Preise – so wie vieles subventioniert war für den alltäglichen Bedarf, einfache Brötchen kosteten z. B. 5 Pfennig und die Miete für die 2-Zimmer-Wohnung meiner Mutter kostete 35 Mark, so waren „Luxusgüter” um so teurer. Ein Farbfernseher war z. B. nicht nur einfach zu bekommen, sondern kostete ab 6000 Mark aufwärts. Kurz vor der Wende lag ein Bruttogehalt bei 1300 Mark. (Von Autos rede ich hier erst gar nicht mehr – ein Kapitel für sich.)
Die Speisekarte finde ich aber sehr interessant und vor allem verswunderlich. Ein „vollwertiges” Gericht kostet nur 1 DM mehr als eine Bockwurst mit Brot. Ich kann es zwar nicht wirklich einorten, aber ich finde, dass es da ein ziemliches Ungleichgewicht gibt.
Gute Bemerkung zur Nostalgie. War’s besser, war’s schlechter? Wahrscheinlich nichts von beidem. Es war einfach anders. Schöne Schilderung vom Klo auf dem Halbstock. Eine Freundin von mir in Basel hatte das noch bis vor wenigen Jahren. Jetzt weiss ich nicht mehr, habe sie schon lange nicht mehr gesehen.
Ja, und es war für uns eigentlich ein normaler Zustand – heute kaum vorstellbar, sich die Toilette mit anderen Nachbarn zu teilen.
Liebe Grüße in die Schwyz. 🙂