Heimat. Heimat?

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„Nach Hause gehen“, dieser Beitrag auf  Manfred Voitas Blog über ein Buch gleichen Titels hat mich ein wenig nachdenklich gemacht.

Nach Hause gehen?

Zugegeben: was haben wir uns früher als kleine „Köttel“ im Chor mit den Erwachsenen immer beömmelt über die vielen älteren Menschen bei uns im Ruhrgebiet, die gefühlt ohne Unterlass wehmütig von ihrer „Hääimat“ sprachen, die sie verlassen mussten.

Und je grauer meine Haare Jahre später wurden, um so grüner wurden auch mir die Erinnerungen an meine Kindheit und den Ort, in dem ich meine ersten 26 Lebensjahre verbrachte.

Und mit den Erinnerungen wuchs auch in mir der Wunsch,
einfach einmal wieder hinzufahren, durch die alten Straßen zu gehen, Klingelschilder auf alten Häusern nach Namen von damals abzusuchen, vielleicht Gerüche und Geräusche, die mir einmal vertraut waren, wiederzufinden, hoffend, alten Weggefährten von damals zu begegnen, deren Gesichter ich vielleicht trotz der vielen Jahre dazwischen noch erkenne.

Was habe ich doch für ein Glück, dass ich jederzeit an meinen Kindheitsort fahren kann, weil er gerade einmal knapp dreißig Kilometer von hier entfernt ist. Und manchmal mache ich das, fahre über die A42 nach Buer-Erle und hole mir etwas von Damals ins Heute.

Für die, die einst aus Masuren oder Ostpreußen oder anderswo her hier im Ruhrgebiet strandeten, wäre das nicht so einfach: zu weit, zu beschwerlich, zu lange her.  Viele davon sind nicht mehr.

Und es tut mir heute aufrichtig Leid, mich damals über sie und ihre Wehmut „beömmelt“ zu haben. Weil ich heute ihre Sehnsucht nach ihren Orten und der Zeit, in der sie das Leben – vielleicht ein ganz anders gedachtes – noch vor sich hatten, gut verstehe.

Hier zu hören:

 

Lo

 

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14 Antworten zu Heimat. Heimat?

  1. Wir hatten in Delmenhorst auch viele Flüchtlinge.Ich kann mich an folgende Sprüche erinnern (keine Garantie für korrekte Schreibweise):
    Erna, haste wieder jekleckert mit dat jelbe vom Ei“ oder „Pironje bei Gleiwitz“

  2. iGing sagt:

    Ein inneres Bild aus meiner Kindheit zeigt mir meine – aus Masuren stammende – Mutter, die weint, weil sie Sehnsucht nach „der Heimat“ hat. Aufgrund ihrer Erzählungen von ihrer Kindheit, den Seen, den Wäldern stellte ich mir immer ein Land voller Sonnenschein vor. Obwohl meine Mutter ohne ostpreußischen Akzent sprach, lernte ich das Ostpreußische kennen, bevor ich noch den Rest der Familie kennenlernte: Es gab hier im Dorf einen alten Mann mit dem ungewöhnlichen Namen Boybox, der auch aus Ostpreußen kam, und der sprach das reinste Ostpreußisch. Mit dem unterhielt sich meine Mutter immer gern, denn das war ja der Klang „der Heimat“.
    Für meine hiesige – südwestdeutsche – Familie war ihre Situation schlicht nicht nachvollziehbar: Alle lebten seit Jahrhunderten in diesem Dorf und seit fast zwei Jahrhunderten sogar im selben Haus und Hof, da konnte kein Krieg nichts ändern, es gab keine Flucht, keine Vertreibung, nur einmal eine Verwüstung des Wohnhauses durch marokkanische (frz.) Soldaten. Unvorstellbar, dass man irgendwohin verschlagen werden könnte, von wo man nicht mehr hierher zurück kann. Man war einfach hier und das gehörte sich so. Vielleicht lebe ich ja deshalb seit sechs Jahren wieder hier. In meiner Heimat eben.

    • Lo sagt:

      So kenne ich meine Mutter auch: sie sprach so herrlich „brääit“ in ihrem ostpreussischen Akzent; sie konnte – und wollte – ihre Herkunft auch nicht verleugnen. Sollte sie auch nicht. Du beschreibst das sehr treffend, wie die, die sich sicher und unvertrieben in ihrem Dorf fühlten und somit wenig Verständnis für die, mit denen das Schicksal es anders meinte, hatten.

  3. Kleine Köttel? ?
    Baumelnde?? ?

  4. nömix sagt:

    »Die Erinnerung malt mit goldenem Pinsel.« besagt eine chinesische Lebensweisheit, und zuweilen trifft das wohl zu.

  5. Du beschreibst das zutreffend, lieber Lo, wie man mit fortschreitendem Alter gerne auf Spurensuche gehen will. Dass du deine Heimatregion nie verlassen hast, gewährleistet ein ungebrochenes Verhältnis dazu, um das ich dich beneide.

    • gnaddrig sagt:

      Dem kann ich mich nur anschließen.

    • Lo sagt:

      Dankeschön, aber ich glaube, ich hätte durchaus auch im Norden oder im Süden leben können, wenn es sich in meinem Leben so ergeben hätte. weil ich glaube, mich wirklich gut anpassen und einbringen zu können, ohne mich dabei zu verlieren oder meine Wurzeln zu vergessen („auf Kohle geboren….).
      Liebe Grüße nach Niedersachsen und Baden-Württemberg!
      🙂

    • gnaddrig sagt:

      Ich glaube, das schließt sich nicht aus. Ich habe als Erwachsener an mehreren Orten gelebt und mich wohlgefühlt und könnte wohl auch in ganz verschiedenen Ecken Deutschlands einigermaßen heimisch werden, vielleicht anderswo in Europa oder sogar sonstwo in der Welt, und trotzdem „die alte Heimat“ vermissen – das Dorf meiner Kindheit oder die Kleinstadt, wo ich das Gymnasium besucht habe. Umsomehr, wenn man als Kind ungefragt dort rausgerupft und nach sonstwo umgetopft wurde. Eine freiwillige Entscheidung als Erwachsener ist da wohl meistens anders, handhabbarer und weniger traumatisch, sogar wenn sie beruflichen o.ä. Sachzwängen geschuldet ist.

      Ich glaube, das Erwachsenwerden und die weitere Entwicklung laufen anders, wenn man vor Ort bleibt, weil man dann unverstellten Zugriff auf alle die Orte und Dinge hat, mit denen man aufgewachsen ist und man dann nicht so in die Gefahr kommt, verlorene, jetzt unerreichbare Dinge zu idealisieren. Die Entzauberung läuft anders. Ob immer besser, weiß ich nicht, das hängt sicher von vielen Faktoren ab, die keiner so genau kennt oder steuern kann, und man kann ja nicht eine alternative Realität in echt ausprobieren.

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