Soll das wirklich schon 62 Jahre her sein?
Ich erinnere mich noch sehr genau an diesen 13. August 1961.
Es war ein Sonntag – und ich war gerade zehn Jahre alt und wohnte mit meiner Mutter in Gelsenkirchen-Erle in einer kleinen Dachgeschosswohnung – ohne Bad, aber mit Klo auf halber Treppe, das wir uns mit anderen Nachbarn teilten.
Nur wenige Tage vor dem 13. August 1961 kaufte meine Mutter beim Erler Radiohändler Heitjohann unseren ersten Fernseher – auf Raten.
Solch eine teure Neuanschaffung war damals das große Erleben von Erstmaligkeit.
Klar, dass dieser Flimmerkasten schlagartig unser Leben veränderte: endlich waren wir nicht mehr darauf angewiesen, von anderen zum Fernsehgucken eingeladen zu werden oder gar danach zu fragen.
Also verbrachte ich in diesen ersten Augusttagen 1961 beinahe jede mögliche Minute zu Hause – vor dem Fernseher.
Und dann überschlugen sich die Ereignisse: schon am frühen Sonntagmorgen war`s im Fernsehen zu sehen: in Berlin ist etwas passiert!
Etwas Furchtbares, etwas, was Angst machte, denn der Generation meiner Mutter und den noch Älteren steckten die Nachwirkungen des Krieges noch spürbar in den Knochen. Man hatte immer Angst davor, dass eines Tages doch noch „der Russe“ kommen könnte.
Und auch wenn ich erst Zehn war, so spürte ich doch an diesem Sonntag, dass die Bilder aus Berlin Angst machten: überall Soldaten, Militärfahrzeuge, LKW mit Stacheldraht. Am Brandenburger Tor wurde die Straße quer aufgerissen. Auf der einen Seite Soldaten aus dem Osten, mit Maschinengewehren – auf der anderen Seite die Berliner Polizei. Dann auch Panzer!
Unser neuer Fernseher blieb nun bis zum späten Abend eingeschaltet, und auch in all den Tagen danach. Es gab nur noch dieses eine Thema: die Ostzone sperrt alles zu – zuerst mit Stacheldraht, und schon wenige Tage später mit Mauersteinen – und lässt niemanden aus dem Osten auf die andere Seite!
Man sieht Panzer, Maschinengewehre – und Menschen, die sich von beiden Seiten hilflos, erschüttert, weinend zuwinken.
Ich erinnere mich noch an dieses Gefühl der Hoffnung darauf, dass „der Ami“ doch bald kommen wird, um in Berlin zu helfen. Und schon wenige Tage später war dann auch der amerikanische Vizepräsident in Berlin an dieser neuen Grenze – und dazu viele amerikanische Soldaten mit Panzern.
Irgendwann später standen sich amerikanische und sowjetische Panzer in Berlin gegenüber, Bilder, die mir unvergessen geblieben sind. Und die Angst der Erwachsenen vor einem möglichen neuen Krieg übertrug sich in gewisser Weise auch auf uns.
Einige Jahre später passierte ich diese „Zonengrenze“ als Westbesucher immer wieder einmal. Hintergrund war, dass ich einen Halbbruder hatte, der 1959 – also lange vor dem Mauerbau – mit seiner Braut von Erle nach Hoyerswerda in die „Ostzone“ zog, dort als Bergmann im Braunkohlengebiet Arbeit fand und eine Familie gründete.
So fuhr ich mit meiner Mutter in den Sommerferien mit Passierschein einige Male in die „Ostzone“. Das Passieren der streng bewachten Zonengrenze mit dem Zug über den Grenzübergang Oebisfelde (Grenzbahnhof der DDR /BRD) war immer spannend, bedrückend und angstmachend zugleich: die Grenzsoldaten hatten ein für uns fremdartiges, feindselig wirkendes Benehmen, es herrschte ein kalter Kommandoton. Und wir spürten, dass wir ihnen ausgeliefert waren: alles, was wir dabei hatten, war zu öffnen, selbst Kaffeebohnen mussten auf die Abteilsitze ausgeschüttet werden, Hosentaschen waren zu leeren. Alle Reisenden hatten den Zug dann zu verlassen und wurden in eine Baracke geführt, während die Grenzer nun den Zug mit unserem Gepäck darin vermutlich auf links drehten.
Diese bedrückende Atmosphäre an der DDR-Grenze hat sich nie verändert, auch später nicht – per Auto – bei Helmstedt. Man hatte stets das Gefühl, für irgendetwas verhaftet, bestraft, oder zurückgeschickt zu werden.
Immer waren es Reisen – wie in ein anderes, wirklich fremd wirkendes graues, ärmliches Land, dessen einzige Farbtupfer die weißen Parolen auf rotem Grund, wie: „Vaterland – Frieden. Sozialismus – wir siegen!“ waren, die an den grauen, tristen Fassaden hingen. Dafür waren aber die Menschen, Nachbarn und Freunde meines Bruders von einer angenehmen Fröhlichkeit, bescheiden und pfiffig zugleich, und manchmal auch flüsternd aufmüpfig…. Man wusste ja nie, wer mithört.
Die Mauer – der 13. August 1961.
Unglaublich, dass das nun schon 62 Jahre her ist.
Meine Freude über die Bilder des Mauerfalls 1989 war unbeschreiblich.
Gänsehautgefühle mit Kloß im Hals.
Und das war gut so.
Lo.
Hallo Altersgenosse, mir ging es in vieler Hinsicht ganz genauso. 1961 in Köln,Erstkommunion, 4. Klasse, aber noch keinen Fernseher. Vor Letzterem hatte ich 1989 in Belgien Tränen in den Augen.
Bonjour, lieber Dieter. Was war der Anlass für die Tränen?
Danke für deine Geschichte, die einem mit dem neuen Krieg in der Ukraine gar nicht mehr so weit weg erscheint. Und sie macht deutlich, in welchem Wohlstand wir leben. Wir mussten zu Telefonieren zu den Nachbarn…. Das war nicht die romantische Gemeinschaft, von der manche heute schwärmen.
Nein. Die Erinnerung malt gern mit goldenem Pinsel….
Ich reihe mich gern in den Erlebniskreis ein. Drei Jahre jünger als du packte auch uns vor dem Schwarzweißen das blanke Entsetzen im beschaulichen Lünen-Brambauer, vor allem, als mein Vater 1968 nach West-Berlin versetzt wurde und wir uns von unserem damals noch kleinen Ort verabschieden mussten. Das nächste Domizil war in einer Hochhaussiedlung im Süden Berlins, 7. Stock (24 insgesamt), mit Wohnzimmerfenster-Blick auf den Todesstreifen und einen Grenzturm mit folgendem Ödland.
Die Fahrten durch die Zonengrenze in die kohlenpöttlerische Heimat ähnelten an den Grenzübergängen einem wahren Gruselkabinett und reduzierten sich irgendwann auf Fahrten zu Null-Geburtstagen, Goldenen Hochzeiten und Beerdigungen.
Aber man gewöhnt sich an alles, auch an Berlin und knapp 10 Jahre nach dem Mauerfall zog es mich in den Speckgürtel ein paar Kilometer nördlich von Berlin und da lebe ich nun wieder ländlich und zufrieden.
Berlin ist immer noch einen Besuch wert, aber wohnen möchte ich dort nicht mehr!
Der Wohnzimmerblick auf die Grenze ist ja sicher furchtbar gewesen, zumal der Streifen ja des nachts auch ausgeleuchtet war. Ich fand die Grenzübertritte, sei es in Helmstedt Marienborn, oder auch durch die in Berlin, Bornholmer Strasse oder die unten am Bahnhof Friedrichstraße sehr beklemmend. Die Abfertigung durch die Grenze war stets furchteinflössend, amtlich, streng. Ich hatte als Schüler mehrere Jahre einen Brieffreund aus der Lausitz, den ich an der Jannowitzbrücke traf, wenn ich in Berlin war. Hinter der Mauer war alles immer grau, alt, teilweise noch, wie kurz nach dem Krieg, mit Einschusslöchern an den Fassaden…
Zum Glück ist wenigstens das Vergangenheit!
Vielen Dank für deine hervorragende Arbeit, die es uns ermöglicht, in die Vergangenheit einzutauchen und Geschichte hautnah zu erleben.
Mit Anerkennung und Dankbarkeit,
Carolin