Kohlenpott. Wo ist der Köttelbeckenduft?

Verdelli, hier bei uns anner Ruhr stimmt doch wat nich!
Allet weg! Die Zechen, unser schöner grauer Smog, der uns Ruhris beim Kanalbaden vor Sonnenbrand schützte, der edelschwattglänzende Ruß auffe Fensterbänke, auffe Wäsche, auffe Autos, die wunderbaren laut pressenden, zischenden Geräusche vonne Kokereien, nix mehr davon zu hören – auch nich dat beruhigende ewige Rollen und Rangieren vonne Kohlenzüge. Und der abendlich romantische abstich-rote Himmel über unsere Stahlwerke? Allet weg!
Und die aromatisch dampfende schwatte Emscher hat sich mit ihren unter Tage verdünnisiert.

Wir blamieren uns.
Wat sollen die Touristen aus aller Welt nur von uns denken?
Die kommen her, um sich dat allet, wat das Ruhrgebiet ausmacht, anzugucken, und müssen sich doch betuppt fühlen!
Wat se vorfinden, is allet andere als graue Kohlenpottromantik: nur noch allet grün – und die Landschaft? Die is auch nur noch lieblich, mit Wäldern, Wiesen und wat für´t Auge.
Ganz ehrlich? Für sowatt kann man auch nach Bayern fahren oder innen Schwatzwald.
Gut, da betuppen se die Touristen auch – mit halbvolle Biergläser oder „echte“ Kuckucksuhren aus Japan. Und da wird auch komisch gesprochen.

Aber dat Schlimmste: hier stinkt et immer mehr nach frischer Luft! Aber sowat von!
Der leckerwürzige Köttelbeckenduft, der uns unsere heißen Sommertage und -nächte versüßte, is auch weg. Ein herber olfaktorischer Verlust für unsere verwöhnten Pottnasen.
Gut, ein paar Schrebergärten, Trinkhallen und wenige Taubenschläge gibt et noch.
Und Halden, wat bei uns die Berge sind.
Und wat die Pütts (Zechen) angeht, die gibt et für zum Gucken als Kunst- und Kulturstätten oder als Denkmäler, datt se nich ganz vergessen werden.

Kohlenstaub? Fette Rußwolken? Fehlanzeige. Da muss der Touri sich gezz leider mit blauem Himmel begnügen.
So gerne uns dat von Herzen Leid tut.

Ich war gestern wieder unterwegs im Kohlenpott. Bissken oberhalb vom Baldeneysee. Auffem Baldeneysteig: Hespertal, Fischlaken, wo früher die Zeche Pörtingsiepen stand: allet grün. Bis auffen Himmel, der war blau. Und et stank fürchterlich. Nach frischer Luft.

Hier ein paar Bilderkes:

Bissi Tage!


Buchtipp: Das Lexikon der Ruhrgebietssprache

Anrüchiges aus der Literaturwerkstatt.Ruhr: der Köttelbecken-Traum.

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18 Antworten zu Kohlenpott. Wo ist der Köttelbeckenduft?

  1. Das ist ja wirklich enttäuschend grün. Mein herzliches Beileid

  2. nömix sagt:

    Herrje, was für ein grünes Elend! Wie kann man eine einstmals blühende Industrielandschaft nur so verschandeln! Wem will denn sowas gefallen außer Rindviechern oder sonstigen Herbivoren?

  3. Früher war eben alles besser!

  4. Jean Lück-Pikkah sagt:

    Ohje, so weit isset schon gekommen! Gleich mal nach Marxloh fahren, da gibbet wenigstens wat Elend abseits derart blühender Landschaften.

    Aber mal so nebenbei bemerkt von einem, der gar ned im Pott wohnt: der Satz „Die kommen her, um sich dat allet, wat das Ruhrgebiet ausmacht, anzugucken“ raubt mir ein wenig die Immersion. Müsste dat ned „allet, wat dat Ruhrgebiet ausmacht“ heißen?

    • Lo sagt:

      Stimmt, dat „dat vor „allet“ is durchaus entbehrlich. Man könnte dat „dat“ hinter „allet“ einfügen.
      Allet dat geht.😉
      Dankeschön fürs Aufpassen!

  5. quersatzein sagt:

    Danke für die schönen Bilder. Tja, da müsst ihr Ruhrpöttler nun durch, da gibt’s wohl keinen Weg zurück ins Laute, Graue, Verrusste. Aber man kann sich ja an fast alles gewöhnen, nicht wahr! :–)
    Lieben Gruss ins 1. Mai-Wochenende,
    Brigitte

    • Lo sagt:

      Wie gut, liebe Brigitte, dass man immer noch die Möglichkeit hat, in den Keller zu gehen, wenn man des vielen Himmelblau überdrüssig ist. Sonnige Grüße zu Dir!

  6. Das, lieber Lo, was du angeblich jetzt vermisst und früher so schwarz und dreckig erlebt hast, kenne ich nicht vom Ruhrpott, denn dort durfte ich ja nicht hinfahren, aber von Oberschlesien. Meine Verwandtschaft lebte in Kattowitz, Beuthen und Hindenburg (ich schreibe sonst immer die richtigen Namen Bytom, Katowice und Zabrze) und da war es genau so, wie du es beschreibst – die vielen Risse in den Häusern fehlen noch, wenn sich was in der darunter liegenden Grube in einem Schacht gesetzt hatte.
    Einfach schrecklich und beängstigend – zumindest für mich als Kind.

    • Lo sagt:

      Liebe Clara,
      solche Erlebnisse kenne ich auch noch: als Kind besuchte ich mit meiner Mutter einige Male meinen älteren Halbbruder, der noch vor dem Mauerbau von Gelsenkirchen in die „Ostzone“ nach Lauta/Lausitz ins Braunkohlenrevier zog. Alles war grau, Häuser, Strassen, Luft Gärten….., da war es selbst bei uns im Ruhrgebiet noch schöner und grüner, als dort.

  7. Heinrich sagt:

    Lieber Lo,
    das Tragische ist, dass dieser Zustand schon sehr lange den Ruhrpott verschandelt. Und keiner tut was! Meine letzte Radtour durch das Ruhrgebiet war 2005. Schon damals war alles dermaßen grün, dass ich mit einer regelrechten Grünallergie nach Hause kam. Glücklicherweise gibt es in Niedersachsen viele Landstriche, wo man sich von dieser Grüflut erholen kann. Aber ich bin noch immer nicht genesen und habe bei der Krankenkasse eine Reha in China beantragt. Leider gibt es dort durch Schließung von Fabriken seit 2015 immer weniger Smog und teilweise schon blauen Himmel. Es ist einfach nicht zu fassen!
    Gruß Heinrich

    • Lo sagt:

      Lieber Heinrich,
      danke für Ihre verständnisvollen Worte. Um ein wenig das Smoggefühl von einst noch einmal zu erleben, war ich vor wenigen Jahren in Mumbai. Seither schätze ich das heutige Grün hier schon etwas positiver ein.
      Liebe Grüße nach Niedersachsen!

      • Heinrich sagt:

        Lieber Lo,
        Mumbai kenne ich nicht, da bin ich richtig ein wenig neidisch, welche Erlebnisse Sie haben! Ich kenne nur Mumpitz, aber auch nur, weil es das in Deutschland mehrfach gibt!
        Gruß Heinrich

      • Lo sagt:

        Sehen Sie? Dafür war ich noch nie in Mumpitz.
        Herzliche Grüße aus dem ehemaligen Ruß-Land!☻

  8. Mona Lisa sagt:

    Schmunzeln muss ich ob deiner Beschreibung. Gefällt mir sehr.
    Und: Ich erinnere das alles noch sehr, sehr gut.
    Doch ich vermisse das alles überhaupt nicht.
    Die „Enttäuschung“ bzw. Vorurteile Fremder im Hinblick auf das Ruhrgebiet halte ich gut aus.

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